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17.11.24 –
Sehr geehrte Damen und Herren,
dies ist mein zweiter Volkstrauertag als Bürgervorsteher. Ich hätte mir gewünscht, dass die Welt friedlicher würde. Leider ist das nicht der Fall, weil Diktatoren und Terrororganisationen meinen, dass sie mit Massenmord und Zerstörung ihre Macht ausbauen können.
Am Volkstrauertag gedenken wir den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft. Zweimal hat Deutschland Krieg und Zerstörung über die Welt gebracht, weil ein überheblicher Kaiser und ein größenwahnsinniger Diktator meinten, dass die Deutschen bessere Menschen wären.
Aus unserer Geschichte wächst unsere Verantwortung. Es liegt an uns daraus zu lernen und diese Verantwortung zu leben. Dieser Volkstrauertag ist ein Ausdruck davon.
Letzte Woche, am 9. November, war der Jahrestag der Reichspogromnacht. In Ahrensburg findet anlässlich des Jahrestag immer der Gang des Erinnerns statt. Wir erinnern daran, dass an diesem Tag im Jahre 1938 der so genannte „Volkszorn“ jegliche Menschlichkeit ausgeblendet hat und in einem Gewaltrausch jüdisches Leben systematisch zerstört wurde. Es wurden Synagogen in Brand gesteckt und der Feuerwehr untersagt und sogar aktiv dran gehindert zu löschen. Diese Zerstörungswut alleine ist unfassbar. Aber Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, anderen zu helfen, daran zu hindern, macht es noch schlimmer.
Ich bin froh, dass wir heute hier zusammen stehen, um ein Zeichen für Menschlichkeit zu setzen. Wir haben gelernt, dass eine aktive Erinnerungskultur wichtig ist, um aus der Geschichte zu lernen. Ich bin dankbar, dass wir in Deutschland und besonders auch in Ahrensburg eine aktive Zivilgesellschaft haben, die sich für ein Miteinander einsetzen. Beispielsweise im Freundeskreis Flüchtlinge, bei der Feuerwehr, dem THW oder bei den Rettungsdiensten. Vielen Dank, dass Sie sich selbstlos für andere einsetzen!
Gerade in der heutigen Zeit brauchen wir Menschen, die Menschlichkeit zeigen.
Der öffentliche Diskurs wird leider oft von Negativität bestimmt und in den so genannten sozialen Netzwerken erreicht viel zu oft Hass die größte Reichweite. Dass das nicht ins realen Leben überschwappt, liegt es an jedem einzelnen von uns. Wenn wir jeden mit Anstand und Respekt behandeln, können wir gemeinsam unser Umfeld positiv beeinflussen.
Wir haben das Glück in einem sicheren Land zu leben. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern geht es uns gut. Wenn wir die Heizung aufdrehen, wird es warm in unseren Wohnungen. Wenn wir den Wasserhahn aufdrehen, kommt trinkbares Wasser aus der Leitung. Wenn wir in einer Notlage sind, können wir uns darauf verlassen, dass uns Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienste innerhalb kürzester Zeit helfen.
Dieses Glück haben leider nicht alle Menschen. Viele leben in Ländern, wo sie um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie so sind, wie sie sind. Oder weil sie sich nicht blind den Machthabern unterwerfen wollen.
In Afghanistan sind die Frauen entrechtet. In Nordkorea sind die Menschen von Fakten abgeschnitten und bekommen nur die Propaganda ihres Diktator indoktriniert. Im Iran werden massenhaft Menschen hingerichtet, weil sie es wagen das Regime zu kritisieren oder weil eine Frau es wagt, kein Kopftuch zu tragen.
In der Ukraine sterben jeden Tag Menschen, weil ein größenwahnsinniger Diktator meint, dass sein Land, das flächenmäßig größte der Welt, zu klein für ihn wäre. Er lässt gezielt die öffentliche Infrastruktur in der Ukraine angreifen und seine Soldaten schrecken nicht vor schlimmsten Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung von Frauen und Deportation von Kindern zurück. In seinem Wahn zerstört er nicht nur die Ukraine und lässt Ukrainerinnen und Ukrainer ermorden, sondern er führt auch sein eigenes Land in den Abgrund. Neben den viel zu vielen ukrainischen Opfern, hat er auch hunderttausende russische Soldaten auf dem Gewissen. Und das nur um einige Quadratkilometer fremden Landes zu besetzen. Für die Ukraine auf der anderen Seite geht es um die Existenz und das Überleben. Wenn Russland aufhört zu kämpfen, ist der Krieg zu ende. Wenn die Ukraine aufhört sich zu wehren, hört die Ukraine auf zu existieren und die Ukrainerinnen und Ukrainer verlieren ihre Freiheit.
Mir blutet als Pazifist das Herz, aber leider kann man nicht in Frieden leben, wenn einen der Nachbar überfällt. Jedes Menschenleben ist wertvoll und Waffen bringen Tot und Zerstörung. Leider ist es manchmal notwendig, sich zu wehren. Als Deutsche haben wir eine besondere Verantwortung. Nie wieder bedeutet, dass wir nicht passiv daneben stehen können, wenn wieder ein Diktator gewaltsam Grenzen verschieben will. Deswegen gilt unsere Solidarität der Ukraine.
Neben dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, ist leider die Gewalt im Nahen Osten eskaliert. Nach dem fürchterlichen terroristischen Massaker der Hamas in Israel mit über tausend Toten und hunderten Geiseln, geht das Sterben jeden Tag weiter. Es befinden sich immer noch israelische Geisel in der Hand der Terroristen. Israel wird mit Raketen der Hamas, der Hisbollah und vom Iran beschossen. Nur dank des Iron Domes kommt es in Israel nicht ständig zu Zerstörung und Toten. Auf der anderen Seite sterben palästinensische Zivilisten, weil im dicht besiedelten Gazastreifen israelische Waffen nicht nur Terroristen treffen.
Aus unserer Geschichte erwächst ein besondere Verantwortung für Israel, welches der Zufluchtsort für jüdisches Leben ist. Die Sicherheit Israels ist für Deutschland Staatsräson. Trotzdem darf man die israelische Regierung kritisieren. Es ist allerdings wichtig, dass man klar differenziert. Israel ist der einzige demokratische Rechtsstaat in der Region. Alle Israelis sind gleichberechtigt und können frei ihre Meinung äußern und z.B. ihre Regierung kritisieren. In den Nachbarländern von Israel gibt es solche Freiheiten nicht.
Unsere Herz ist groß genug. Wir können gleichzeitig solidarisch mit den Menschen in Israel, insbesondere den Angehörigen der Opfer des Massakers vom 7. Oktober 2023 und der immer noch verschleppten Geiseln, sein und wir können Mitgefühl mit den palästinensischen Opfern haben. Die Geiseln der Hamas müssen endlich alle freigelassen und die Waffen müssen schnellstmöglich ruhen, damit in der Region endlich Frieden und ein Miteinander entstehen kann.
Auch bei uns in Europa werden Juden wieder bedroht. Lasst uns gemeinsam dem Antisemitismus entgegen stellen.
Diskriminierung, egal aus welchem Grund, sollte nie wieder Platz in unserer Gesellschaft haben. So wie wir heute gemeinsam zusammen stehen, lasst uns das jeden Tag beherzigen.
Gemeinsam können wir unsere Gesellschaft menschlicher machen!
Benjamin Stukenberg
Auf Einladung des Bürgervorstehers berichtete bei der Veranstaltung am Ahrensburger Ehrenmal auch Alexander Harder, Mitglied des Kreistags, über den Kriegsausbruch in der Ukraine.
Am 24. Februar 2022 begann ein Tag, der sich unauslöschlich in das Gedächtnis meiner Schwiegermutter Lena Synelnyk und unserer gesamten Familie einbrannte. Der Krieg, den niemand in dieser Form für möglich gehalten hatte, wurde zur Realität. Meine Schwiegermutter beschreibt in ihrem Bericht die ersten Stunden des russischen Angriffs auf die Ukraine mit einer Intensität, die die Angst, den Schmerz und die Ungewissheit jener Zeit greifbar macht.
Es ist ein persönliches Zeugnis von Mut, Zusammenhalt und der Stärke, die Menschen in der dunkelsten Stunde finden können. Während sie und ihre Familie den Herausforderungen der Flucht und des Schutzes begegneten, kämpfte mein Schwiegervater an der Front, um seine Heimat zu verteidigen. Dieser Bericht ist nicht nur ein Rückblick auf die schrecklichen Ereignisse, sondern auch ein Zeugnis des unerschütterlichen Willens, Freiheit und Leben zu bewahren.
Am 24. Februar wachte ich gegen 2 Uhr morgens wie aus einem Schock auf. Ich stand am Fenster, alles sah wie immer aus - ruhig, die hellen Lichter der schlafenden Stadt brannten, in der Ferne flackerte die Beleuchtung des Sanatoriums für Eisenbahner und ein helles Licht schien auf den Telefonturm, der ebenfalls nicht weit entfernt war. Ich öffnete das Fenster und lauschte... Stille... Aber meine Seele war sehr ängstlich und unruhig. Mit zitternden Händen schrieb ich eine Viber-Nachricht an unseren Enkel und bat ihn, sofort nach dem Lesen dieser Nachricht mit dem ersten Zug nach Hause zu fahren. Schon am Tag zuvor, als er von uns zur Uni fuhr, habe ich ihn gebeten, dies nicht zu tun und zu Hause zu bleiben, da der Unterricht wegen Covid online stattfand und es keine dringende Notwendigkeit gab, dorthin zu fahren. Aber wer würde im Alter von 17 Jahren seiner Großmutter zuhören, wenn seine Freunde dort auf ihn warteten ... Daher gab ich ihm bereits auf dem Bahnsteig noch einmal schnell Anweisungen, wie er sich verhalten sollte, wenn eine militärische Invasion beginnt. Einen Rucksack bereithalten, das Nötigste und Essen und Wasser dabeihaben, was soll er tun, wenn der Strom ausfällt und die Kommunikation wegfällt... wo und an welchem Ort wir ihn abholen können. Ein skeptischer junger Mann, selbstbewusst und jung...er lächelte nur ironisch und um mich loszuwerden, sagte er: Oma, ich werde es nicht brauchen, alles wird gut...21. Jahrhundert, was für Krieg?? Doch dann passierte es, dass er sich, obwohl er mir mit halbem Ohr zuhörte, noch an etwas erinnerte und meine Anweisungen ihm und seinen Freunden halfen...was er später zugab und sich entschuldigte...am Ende, genau wie Diana, seine Mutter. Ich konnte vor den ersten Explosionen nicht einschlafen. Draußen war es frostig und sehr kalt und die Stille war ohrenbetäubend. Kein Autolärm, kein Hundegebell... Und meine Seele war so verstört, dass es schwierig ist, diesen Zustand mit Worten zu beschreiben, außerdem zitterte ich unglaublich, aber nicht vor Kälte, sondern vor Angst... Ich ging um das Haus herum, öffnete von Zeit zu Zeit die Fenster und lauschte, und dann ging ich zu Bett und erinnerte mich daran, wie meine Mutter meinem Bruder und mir von den Momenten des Beginns des Zweiten Weltkriegs erzählte, die sie damals hatte Alter von fünf Jahren, erfahren... Ich wartete auf vier Uhr morgens ... es ist kaum zu glauben, aber da ich die Heimtücke der Russen so gut kannte wie nur wir Ukrainer, hatte ich intuitiv das Gefühl, dass es genauso beginnen würde wie der Zweite Weltkrieg ... um 4 Uhr morgens... Um 4:45 Uhr ertönte die erste Explosion in der Stadt, und dann bombardierten immer mehr und mehr Raketen den Militärflugplatz, der 8 km von unserem Haus in unserer Stadt liegt. Viele unserer Freunde leben dort in der Nähe. Die Erde bebte, der Himmel war rot von Blitzen, in dieser Richtung konnte man sehen, dass alles in Flammen stand... So begann der Krieg... Die Hunde heulten, alle gleichzeitig, es gab Gewalt und es war so schrecklich, dass es nur diejenigen verstehen werden, die so etwas erlebt haben... Und dann geschah alles wie in einem schrecklichen Traum... Das Blut schoss mir in den Kopf, in meinem Hals entstand ein Krampf, den ich lange Zeit weder schlucken noch loswerden konnte. Ich hatte das Gefühl, dass der Druck über allen Maßen war. Mein Mann sprang aus dem Bett, wir riefen unseren Enkel Bohdan an, er und seine Kommilitonen waren bereits im Keller (die Universität hat einen ziemlich schönen Keller, in dem sich Studentenlabore befanden und der später zu einem Luftschutzbunker wurde). Er sagte, dass sie von den Explosionen aufgewacht seien und alle zum Trainingsgebäude und zum Lagerraum gerannt seien. Wenige Minuten später traf unsere jüngere Tochter Diana im Schlafanzug mit ihrem Mann und ihrem sechsjährigen Enkel ein, der so verängstigt war, dass er nicht sprechen konnte. Gut, dass sie in der gleichen Stadt wie wir wohnen und ihre Wohnung nicht weit von uns entfernt ist. In der Zwischenzeit raffte sich mein Mann zusammen und holte unseren Enkel in Poltawa über einen Umweg, eine nicht sehr bekannte Straße, über Opishnia ab, wie mit Bohdan vereinbart... Die Mobilfunkverbindung war zwar vorhanden, aber nicht stabil. Wir blieben alle zusammen in unserem Haus. Wir wussten nicht, was wir tun sollten, worauf wir uns vorbereiten sollten, und waren so verängstigt, dass wir nicht zur Besinnung kamen. Wir schalteten den Fernseher ein … und klebten buchstäblich an den Bildschirmen, während wir der Ankündigung des Präsidenten zuhörten, dass er einen groß angelegten und schnellen Angriff ankündigte, das Kriegsrecht verhängte und verkündete, dass die Kämpfe bereits im Gange seien und die Horde auf unsere Hauptstadt zukäme ... daran gab es keinen Zweifel - es war das Schlimmste vom Schlimmsten ... Yana, sie lebt mit ihrem Mann und Sohn in Reinbek, hatte genauso große Angst wie wir ... sie bat uns, sofort zu packen und zu gehen ... Gegen acht Uhr morgens kehrte mein Mann mit Bohdan zurück, nahm seine Waffe, eine Umhängetasche, die immer bereitlag, und begab sich zum Sammelplatz der Territorialverteidigung. Er bat mich, nicht zu weinen, nicht den Kopf zu verlieren, durchzuhalten und vernünftig zu sein ... Ich sah ihm nach, als er wegfuhr, und begriff, dass es passieren könnte, dass ich ihn zum letzten Mal sehen würde ... Mir brach das Herz vor Schmerz.. Es tut weh, sich daran zu erinnern...
Epilog
Während meine Schwiegermutter, Schwägerin und die Kinder später zu uns nach Reinbek kamen, kämpfte mein Schwiegervater mit seinen Kameraden an vorderster Front. Durch die Zerstörung einer großen Panzerkolonne verhinderte er, dass diese aus östlicher Richtung nach Kyjiw vorrücken konnte.
Er kam später ebenfalls zu uns.
Etwa einen Monat blieben sie gemeinsam bei uns. Nachdem die Russen gezwungen waren, sich aus dem Gebiet um Kyjiw zurückzuziehen, verließen sie uns wieder und kehrten nach Hause zurück.
Es geht allen gut.
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